“The propagandist's purpose is to make one set of people forget that certain other sets

of people are human.” Aldous Huxley


Von: René Lindner

„Finish them“, also „Erledige sie“ – das war die Reaktion auf den Überfall der Hamas am siebten Oktober, zu dem die amerikanische Politikerin Nikki Haley dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu geraten hat. Die Republikanerin Haley, die sich zum damaligen Zeitpunkt noch Chancen auf eine Kandidatur für das Präsidentenamt ausgerechnet hatte, war offensichtlich stolz auf ihre gelungene Formulierung und hat sie im Mai 2024 in Israel per Hand auf eine Bombe geschrieben. Die israelische Armee hat die handsignierte Bombe danach über dem Gazastreifen abgeworfen.


„Finish them“ – die Formulierung ist ein leicht abgewandeltes Zitat aus dem Videospiel „Mortal Kombat“. Wenn der Gegner im Duell kurz vor der Niederlage steht und für einen Moment wehrlos ist, folgt die Aufforderung: „Finish him“. Geübte Spieler können den Moment nutzen um den Gegner zu packen und einen „finishing move“ ansetzen. Ein „finishing move“ kann beispielsweise so aussehen: Der erschöpfte Gegner wird in die Luft geworfen, sein Körper von zwei an Seilen befestigen Dolchen durchbohrt. Danach durchbohren die Dolche den Hinterkopf und treten aus den Augenhöhlen wieder aus.


Der Sieger, in diesem Fall „Scorpio“, zieht die Seile ruckartig zurück, trennt den Kopf des Gegners vom Körper und zerteilt mit dem abgetrennten Kopf die Leiche in zwei Teile. Die Leichenteile fallen auf den Boden, das Blut sprudelt, während „Scorpio“ den abgetrennten augenlosen Kopf mit einer Hand fängt wie einen Ball.

 

 „Finish Them“ ist eins der ersten Bilder, das für die Ausstellung „POP+PROPAGANDA“ entstanden ist. Wie der viele Bilder ist „Finish Them“ ein Experiment mit der Bilderstellung durch Künstliche Intelligenz und der Versuch, sichtbar zu machen wie primitiv und abgeschmackt unsere Kultur hinter der glitzernden Oberfläche von Popkultur und moderner Technologie ist.


Kritik von Popkultur bedeutet immer auch Kritik amerikanischer Kultur, weltweit etablierter amerikanischer „soft power“, die sich auch in Deutschland großer Beliebtheit erfreut. Wir vertrauen fest auf unsere amerikanischen Freunde; die amerikanische Seite ist unsere Seite, die Seite der freien Welt, die Seite Europas.  Die ehemalige UN Botschafterin Nikki Haley ist eine einflussreiche Person, eine Repräsentantin der amerikanischen Elite.


Bei der Ausstellung „POP+PROPAGNDA“ geht es vor allem darum, hier ein Deutschland ein Bewusstsein dafür schaffen, wie radikal sich die Welt verändert hat; was zum Beispiel seit Ende des kalten Krieges aus unseren Freunden in Washington geworden ist. 


Street Art, Comics, Designer Toys, erotische Fotografie: Was gestern noch verpönt, exzentrisch oder sogar kriminell war ist angesagt und steht im visuellen Alphabet der Werbung für modern, authentisch und cool.

 

Die Arbeiten der Ausstellung nutzen alle verfügbaren Werkzeuge, von Sprühdosen bis Künstlicher Intelligenz, um zu untersuchen, wie oberflächlich aufmüpfige Kunst als Schaufensterdekoration für eine konformistische und statische Gesellschaft dienen kann.


Viele der in „POP+PROPAGANDA“ gezeigten Arbeiten sind im Austausch mit der KI Plattform „Midjourney“ entstanden. Häufig ist der Prozess der Erstellung der Bilder langwierig, weil das System den „prompt“ missversteht, Fehler macht oder weil die immer strenger werdende Zensur der Plattform die Erstellung des Bildes verbietet. Normalerweise wählt der Nutzer immer ein oder zwei der vier Versionen aus, die das System liefert, um damit weiter zu arbeiten. Aber manchmal gelingen faszinierende Zufallstreffer und die KI kreiert Bilder, bei denen der unheimliche Eindruck entsteht, unter Beobachtung eines Wesens zu stehen, dass von den Menschen angewidert ist.

„Proxywar“


Besonders eindrucksvoll zeigt sich dieser Effekt bei dem Bild „Proxywar“, zu Deutsch „Stellvertreterkrieg“. Der „prompt“ bestand nur aus einem Wort, „proxywar“ und das Bild war unter den ersten vier Bildern, die das System ausgespuckt hat.

„POP+PROPAGANDA“ hat nicht den Anspruch eine Kunstaustellung im klassischen Sinn zu sein. Ohne das KI Programm „Midjourney“ und die Unterstützung von Nadine Anderson-Cheng, Rodrigo Esperon, Ursula Schmitz und den Sprühern „Remix“ und „Angus“ wären die meisten Arbeiten nie entstanden. Die Arbeiten und die Ausstellung sind vor allem dem Bedürfnis entsprungen, einen Beitrag zu leisten im Angesicht einer Entwicklung, die eine globale Katastrophe immer wahrscheinlicher macht.


 „POP+PROPAGANDA“ ist eine Einladung zur Reflektion, zum Gespräch und zur kritischen Auseinandersetzung mit einer Welt, die sich in einer existentiellen Krise zu befinden scheint. In einer von Unsicherheit und Angst geprägten Situation lässt sich nur so viel mit Sicherheit sagen: Was wir gerade erleben keine Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse.


Die Welt wird bestimmt von Menschen und ihren Interessen und jede Menschengruppe hält ihre eigenen Interessen für legitim. Die andere Seite als „böse“ und die eigene als „gut“ zu definieren ist ein Zeichen von Ignoranz und leistet der Dehumanisierung Vorschub. Alles, was wir als das „Böse“ definieren, basiert auf dieser Dehumanisierung.

 

Zum Autor:

René Lindner ist Gründer von www.language-and-skills.eu und lebt in Düsseldorf.